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Ihre Geschichte...

Unsere Flucht begann im Januar 1945 und dauerte fast ein Jahr. Wir flüchteten von Elbing (damaliges Preußen, heute Polen) über Güstrow nach Bielefeld.
Meine Mutter wollte eigentlich schon früher los – aber wir durften nicht. Wir bekamen keinen Besucherschein für den „Westen“, denn schließlich sollten die im „Westen“ nichts von den Problemen an der Ostfront mitbekommen.
Meine Mutter flüchtete allein mit uns 3 kleinen Kindern, meine kleine Schwester war gerade mal 10 Monate alt, ich 3 Jahre und mein Bruder war 7 Jahre alt. Mit dem Kinderwagen, bei minus 30°C und 30-50 Zentimeter Schnee, die rote Armee im Nacken und teilweise Bomben von oben.

Einmal sind die Finger, diese kleinen Finger meiner kleinen Schwester fast erfroren. Sie waren schon ganz blau und dick angeschwollen, meine Mutter rieb diese dann ganz fest mit Schnee ein, somit hat sie wohl verhindert, dass meine Schwester ihre Finger verlor.

Eines Tages kamen wir an einem Hafen an, als mein Bruder dieses riesige Schiff sah, weigerte er sich vehement es zu betreten, egal was wir taten – zum Glück, denn es war die Wilhelm Gustloff, welche später versenkt wurde. Damals fanden vermutlich mehr als 9.000 Menschen Ihren Tod.

Wir aber gingen nun zu Fuß weiter, kleinere Stücke auch mal mit dem Zug, wenn wir Glück hatten. Unsere Mutter passte auf unsere wenigen Habseligkeiten auf wie ein Luchs, denn es wurde damals viel gestohlen, selbst Kindersachen. Es kam auch vor, dass Essgeschirr über Nacht von anderen als WC missbraucht wurde.

In Güstrow fanden wir kurz Unterschlupf bei einer sehr netten Familie, deren Mann Schornsteinfeger war.

Milch holen – mein Bruder war immer etwas weiter vorn in der Reihe, so hatten wir eine Chance ggf. zwei Mal etwas zu bekommen und oftmals war bei meinem Bruder auch noch etwas Leckeres extra drin, z.B. ein kleines Stück Butter. Aber wir hatten immer Hunger, immer. Aber trotz aller Schwierigkeiten schaffte es meine Mutter immer, dass wir zumindest an Weihnachten Äpfel hatten.

Trotz einer großen Villa nahmen uns die Verwandten unseres Vaters nicht auf. Eine andere Tante hingegen nahm uns auf, trotz eigener 4 Kinder und nur noch einem „halben“ Haus, denn die andere Hälfte musste sie verkaufen.

Dann kamen die Zwangseinquartierungen und wir wurden bei Frau Käsemann untergebracht – 4 Leute in einem Zimmer auf 8m². Frau Käsemann bekam jedoch Mitleid mit uns und stellte uns ein zweites Zimmer bereit, somit hatten wir dann 2 x 8m². Mit einem klitzekleinen Haken, bei uns im Zimmer war der Wasseranschluss für alle Bewohner des Hauses. Um Chaos zu vermeiden machte meine Mutter einen Plan, wann wer Wasser holen konnte, die Eimer waren randvoll und wenn dann einer schwappte, kann man sich ausmalen, wie es aussah. Ich erinnere mich noch gut an die Oma über uns, die immer ein Sitzbad nahm.
Frau Käsemann – wir Kinder liebten sie – gab uns oft etwas Leckeres aus dem kleinen Garten. Dann, nach insgesamt 12 Jahren, bekamen wir ein paar Straßen weiter, die erste kleine Wohnung mit einem kleinen Balkon – und einer Badewanne! Mit 15 Jahren das erste mal Baden – herrlich.

Aber wir waren sehr arm, Zigeuner wurden wir genannt, waren ja keine Einheimischen und vom Hauttyp her dunkler. Als ein Mitschüler mich einmal dabei beobachtete wie ich Äpfel aufgesammelt habe die an der Allee herunter gefallen waren, wurde ich danach sehr gehänselt…